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Daniel Falb. Deutschland. Ein Weltmärchen (in leichter Sprache)

Daniel Falb. Deutschland. Ein Weltmärchen (in leichter Sprache)

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Die Sonne scheint auf alle, die da sind, Leser*in.

DAS BUCH

Die Coronapandemie der Jahre 2020ff. lässt sich betrachten als vielleicht „größtes Kontrollexperiment in komparativer Governance in der Geschichte – mit dem Virus als Kontrollvariable“. (Benjamin Bratton) Während das Virus überall das gleiche ist, sind die Reaktionen auf es vielgestaltig. Der Erreger macht gesellschaftliche ,Vorerkrankungen‘ schonungslos sichtbar. Zugleich beruht die Möglichkeit einer Pandemie auf der Realität einer Globalisierung, die Nationalstaaten als autonome Einheiten und Akteure längst durchlöchert hat. Von diesem Ausgangspunkt her begibt sich der Band in einen Intertext mit Heinrich Heines berühmtem Wintermärchen (1844) und schreibt dessen Deutschlandkritik für das 21. Jahrhundert fort. Dabei geht es nun weniger um eine Reise durch Deutschland, als um den Nachvollzug der Routen und Kanäle, die dieses Segment der Erdoberfläche mit dem Rest der Welt verknüpfen. Zugleich geht es um die Grenzen und Schwellen, die im Weltsystem wie innerhalb Deutschlands Zugang (access) beschränken und gestalten. Ins Poetische gespiegelt stellt dieser Fokus die Frage nach der leichten Sprache – das ist das poetische Experiment von Deutschland. Ein Weltmärchen. Die leichte Sprache ist eine Sprache der Inklusion. Als solche findet man sie immer öfter in den deutschsprachigen Informationslandschaften. Die leichte Sprache ist aber auch Wahrheitssprache: sie ist, was man Menschen sagt, die man nicht anlügen kann. Und schließlich kann die leichte Sprache eine Sprache der Dichtung sein: als barrierefreier Zugang zum Gedicht. Als barrierefreier Gang durchs Gedicht – wohin es auch entführen mag. Und als barrierefreier Zugang, im Gedicht, zu jener ursprünglichen Vielsprachigkeit, die jede Nationalsprachlichkeit und jede ,deutsche Literaturgeschichte‘ axiomatisch unterläuft.
— Daniel Falb

In leichter Sprache:

COVID-19 ist eine Krankheit.
Sie kommt durch das Corona-Virus.
Das Corona-Virus hat sich im Jahr 2020 auf der ganzen Welt verteilt.
Man sagt dazu: Corona-Pandemie.

Die Corona-Pandemie ist wie ein großes Experiment.
Ein Experiment ist ein Versuch.
Da probiert man verschiedene Sachen aus.
Manchmal funktioniert der Versuch.
Und manchmal funktioniert er nicht.
Wissenschaftler machen oft Versuche.
So verstehen sie die Welt.

Das Corona-Virus ist überall auf der Welt das gleiche.
Aber die verschiedenen Länder haben unterschiedlich reagiert.
Jetzt kann man die Unterschiede in dem Experiment untersuchen:
- Wie haben sich die Länder verhalten?
- Warum haben sich die Länder so verhalten?
- Was lernen wir daraus über die Länder?
Manchmal zeigt ein Experiment alte Probleme.
Die Probleme gab es vorher schon.
Aber mit dem Experiment kann man sie besser sehen.

Das Experiment mit der Corona-Pandemie zeigt noch etwas:
Dem Corona-Virus sind die Länder egal.
Es hält sich nicht an die Grenzen von den Ländern.
Denn alle Länder hängen zusammen.

Vor 200 Jahren hat der Schriftsteller Heinrich Heine gelebt.
Ein Gedicht von ihm heißt: „Deutschland. Ein Wintermärchen“.
Es ist ein lustiges Gedicht.
Aber der Inhalt ist ernst.
In dem Gedicht geht es um die Probleme von Deutschland.
Es ist eine Kritik an Deutschland.
Eine Kritik sagt: Das ist alles schlecht an einer Sache.
Eine Kritik kriegt man nicht gerne.
Aber eine Kritik kann helfen.
Denn damit kann man die Probleme besser verstehen.
Und vielleicht kann man die Probleme dann lösen.

Dieses Buch ist auch eine Kritik an Deutschland.
Wie das Gedicht „Deutschland. Ein Wintermärchen“ von Heinrich Heine.
Aber es ist eine moderne Kritik.
Das heißt: Es geht um die Probleme von heute.
Es geht um die Verbindungen zwischen Deutschland und der Welt.
Und es geht um die verschiedenen Arten von Grenzen.
Denn es gibt mehr als nur die Grenzen zwischen den Ländern.
Es gibt auch die Grenzen zwischen den Menschen.
Zum Beispiel:
- Manche Menschen sind arm und andere sind reich.
- Manche Menschen können gut lesen und andere nicht.

In diesem Buch geht es auch um die Leichte Sprache in Deutschland.
Es gibt in Deutschland immer mehr Texte in Leichter Sprache.
Die Leichte Sprache ist eine Sprache für alle Menschen.
Damit kann kann man die Texte besser verstehen.
Die Idee ist: Alle Leute sollen mitreden können.
Die Leichte Sprache soll die Sachen klarer machen.

Die Leichte Sprache kann man auch für Gedichte benutzen.
Dann kann man die Gedichte leichter lesen.
Dann sind die Gedichte für alle Menschen da.
Mit der Leichten Sprache kann man die Gedichte besser verstehen.
Denn Gedichte sind mehr als nur einzelne Sätze von einer Geschichte.
Manchmal erzählen Gedichte noch mehr.
Sie sind wie Musik.
Da gibt es auch mehr als nur den Text.
Zum Beispiel die Melodie.
In einem Gedicht gibt es manchmal eine unsichtbare Sprache.
Die versteckt sich hinter der normalen Sprache.
Die unsichtbare Sprache kann man beim Lesen entdecken.
Vielleicht hilft die Leichte Sprache dabei.


STIMMEN ZU DANIEL FALB

Vieles steht hier in Verbindung, oft rhizomatisch, mal konvergierend, mal konterkarierend. Die Verse wuchern in- und auseinander. Radikaler lässt sich kaum sprechen. Wer auf rasches Verstehen aus ist, der wird hier enttäuscht. Doch sollte man sich nicht voreilig von der Überforderung täuschen lassen. Vielmehr sollte man sich fragen, ob Falbs Sprechen mimetisch nicht näher an dem dran ist, was wir unter dem so tückisch leicht über die Lippen gleitenden Begriff „Wirklichkeit“ zu fassen glauben, was aber im Verständnis jeder Einzelnen ja längst das Fassungsvermögen übersteigt.
— Beate Tröger, Der Freitag

Der Lyriker und Philosoph Daniel Falb hat geschafft, was seit einem halben Jahrhundert keinem Kollegen aus der Zunft der Dichter mehr gelungen ist: Er hat die Welt der Lyrik auf den Kopf gestellt. Er hat sie in eine Tabula rasa-Situation versetzt und ihr ein radikales Reinigungs- und Reanimations-Programm verordnet. Die Poesie der Gegenwart soll nicht mehr aus ihren vertrauten Repertoires der poetischen Tradition und aus den Regelwerken der Verskunst schöpfen, sondern sich endlich auf Augenhöhe mit den Naturwissenschaften begeben, vor allem mit der Geologie und der Biologie, aber auch mit der Anthropologie und der Medientechnik.
— Michael Braun, signaturen-magazin.de

LESEPROBE

Deutschland. Ein Weltmärchen in leichter Sprache

(...)

Heine hat sich geweigert,

auf Französisch zu schreiben,

obwohl er 13 Jahre dorthin vertrieben war.

Jetzt darfst du die Wort-Schatulle öffnen,

die ich in die Gegend von deiner Hand geschrieben habe:

„Unsere Sprache

ist […], sie ist das Vaterland

selbst.“

Pff.

„Ich …,“

– ich strecke meinen Bauch raus –

„ich dichte schon auf Französisch, durch DeepL,

Je fais déjà de la poésie en français, par le biais de DeepL.

Ich dichte schon in jeder Sprache, zu der DeepL mich trägt,

Je fais déjà de la poésie dans toutes les langues vers lesquelles

DeepL me porte.

Ich mache es schon,

voila.

Je le fais déjà.

Überhaupt kein Ding –

pas de chose.“

Durch leichte Sprache kein Problem.

Das ist doch ein schöner Topf.

„Was stellt er sich so an –

zwischen Deutsch und Französisch liegen nur 5.500 Jahre.“


5.

Bevor Leute verschiedene Sprachen gesprochen haben,

haben sie dieselbe Sprache gesprochen.

Dann haben sie sich aus den Augen verloren.

Ihr Gerede verstimmte sich wie Klaviere.

Viel Zeit verging.

Aus einer Sprache wurden zwei.

Leck.

Ich gebe meine Verse bei DeepL ein,

und der frisst die Zeit einfach auf.

Zeit-Nüsse.

WEG-GEFOPPTE ROTE ANGEMALTE LEERE NÜSSE.

DAS IST EIN KNALLHARTES FOPPEN.

Ein Zeit-Picknick.

DAS WAR SCHON UNSER PICKNICK.

DAS WAR SCHON UNSER VERTILGEN.

DAS VERTILGEN ZWEIER VERSCHIEDENER NUSSSORTEN.

ABER ES WAREN IMMER BLOSS PAPP-NÜSSE GEWESEN.

DAS DEUTSCHE WAR EINE PAPP-NUSS.

DAS FRANÖZSISCHE WAR EINE PAPP-NUSS.

PAPP-MACHÉ, DAS DER TRANSLATOR NUN RUNTERWÜRGT.

BIS WO DIE SPRACHEN EINE WAREN.

DAS NEURO-NETZ MACHT DAS.

LÄSST ÜBRIG EINEN ECHTEN KEKS.

EINEN KRÜMEL PROTO-INDO-EUROPÄISCH.

Und indem es so das Welt-Märchen in mehr und mehr Sprachen übersetzt,

– in alle Sprachen der Welt übersetzt –,

vernichtet es,

und frisst die Zeit auf,

immer mehr Zeit auf,

und lässt als Krümel übrig

die Sprache der mitochondrialen Eva.

   Die mitochondriale Eva ist eine Frau, mit der alle
   verwandt sind.

   Sie hat vor langer Zeit gelebt.

   Sie hieß nicht Eva.

Ein sich drehender metallischer Brotkrumen.

Ein Keksstück aus Holz.

(Wie kann etwas so Leichtes so spitz sein?)

In einer super-leichten angemalten

Schüssel des Clowns.

Seinem Hut.


6.

In wie vielen von 1.000 Durchläufen

der Besiedlung der Welt durch Homo sapiens

hätte es z.B. „German*innen“, „Proto-Germanisch“,

sogar die „deutsche“ Sprache gegeben?

„…“

Eben.

In keiner.

Und trotzdem leben da Leute.

Andere Leute.

*WIR SIND DIESE [ANDEREN] LEUTE*

*WIR SIND DIESE [ANDEREN] LEUTE*

Wir sind schon die anderen Leute, die da geboren wurden.

Ich greife unter die Mütze

und da ist dein Kopf.

Fasse mit meiner Hand in deinen

Nacken.

Er ist warm

wie eine zusammengerollte Katze am Bauch.

Il est chaud

comme un chat roulé en boule sur le ventre.

Während du das letzte Stück

über die weiße Holz-Stiege gehst.


7.

Die Server von DeepL stehen nicht in Köln.

   Server sind Computer für Internet-Dienste.

Sondern in einem Satz in Keflavík.

Das ist in Island.

DeepL mietet da Server-Kapazität von einer Firma namens Verne Global.

Ein Haus so schmal.

So hager.

Der Gang ist so eng und streng und weiß.

Wie ein enges Haus.

In ihm passiert die Übersetzung.

In ihm herrscht eine ANDERE Zeit.

Das ist eine andere Historie, andere Zeit,

in die man dort steigt mit dem Fuß.

Das ist eine andere Zeit.


In sich gedrehter Wasser-Fall,

Blüten-Kreis

mit Hand-Geländer darüber.

Das ist eine Gegenwart, die kausal abgekoppelt ist

von jeder Vergangenheit.

Eine Gegenwart, die sich pur aus sich selbst erzeugt.

0,001 Sek.

Ewige-Gegenwarts-Literatur:

Die 0,001 Sek.,

die das neuronale Netz braucht,

die 1297 Wörter von diesem Gedicht

Ein Welt-Märchen zu übersetzen,

begründen eine neue,

absolute und ewige,

Gegen-Wart der Literatur.

Literatur einer absoluten Gegen-

Wart.


Begründen eine neue Zeit,

*0,001 Sek. lang.*

Diese Zeit,

das ist der Keks der mitochondrialen Eva.

(Abgebrochene Flocke von einem Keks, aus

zusammengeknüllten Papierstücken zusammengesetzt.)


Ein schrotiger Krümel,


der Keks dreht sich um sich.


So schnell, du kannst es nicht sehen.


5´100´000´000´000´000 mal pro Sek.


In einer super-leichten angemalten


Schüssel des


Clowns.



8.

Ich füge die gebrochenen Zeilen zu ganzen Sätzen …

Ich markiere alles so blau und kopiere das Gedicht

und gebe es links ein in das Eingabe-Fenster von DeepL …

Du gehst Satz für Satz weiter runter mit dem Text.

Ich wische dir mit Spucke das Katzen-Gesicht weg.


9.

Links steht der reinkopierte Text.


10.

Innen steht der reinkopierte Text.

Das Ausgabe-Fenster (rechts) bleibt leer.

Ich drücke nochmal Enter.


11.

Ich drücke nochmal Enter.

Das Ausgabe-Fenster bleibt leer.


(10/2022)


DER AUTOR

Daniel Falb, geboren 1977, ist Dichter und Theoretiker. Er lebt und arbeitet in Berlin, wo er Philosophie studierte und mit einer Arbeit zum Begriff der Kollektivität promovierte. Er veröffentlichte bislang vier Gedichtbände bei kookbooks, zuletzt Orchidee und Technofossil
(2019). Daneben hat Falb viel zur Geophilosophie sowie zu Fragen von Poetik und Kunsttheorie gearbeitet. Nach Anthropozän. Dichtung in der Gegenwartsgeologie (Verlagshaus Berlin 2015) erschien 2019 Geospekulationen. Metaphysik für die Erde im Anthropozän und jüngst der poetische Bildessay Mystique der Weltbevölkerung (beide im Merve Verlag). Falbs Arbeit wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen gefördert, er erhielt 2016 den Kurt Sigel Lyrikpreis
des PEN Zentrums Deutschland, 2021 war er Träger eines Arbeitsstipendiums Literatur des Berliner Senats. In Kürze erscheint, in Kollaboration mit Armen Avanessian, Planeten Denken. Hyper-Antizipation und Biografische Tiefenzeit (Merve). www.danielfalb.net

Das Intro wurde von Holger Fröhlich in Leichte Sprache übersetzt.

Foto: Ute Friederike Schernau. Aufgenommen im Haus Rüschhaus.


Daniel Falb, Deutschland. Ein Weltmärchen (in leichter Sprache), Reihe Lyrik Band 84, 160 Seiten, gestaltet von Andreas Töpfer, ISBN 978-3-948336-20-2

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