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Yevgeniy Breyger. Gestohlene Luft. Gedichte

Yevgeniy Breyger. Gestohlene Luft. Gedichte

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Wirst du mich finden? Wirst du dein Haus jemals verlassen?


DAS BUCH

Bunt ist das Laub. Bunt, die Kleidung. Die Tiere bunt, die Menschen von Kopf bis Fuß. Bunt, die Gedichte, die guten wie die schlechten. Die Seen, die Himmel, die kreisenden Planeten, die Gottheiten und die Computer. Erinnerung strömt durch Gelenke, sammelt sich in Faszien, wird Information, Narrativ, Krankheit – wird übertragen.

Mein neues Gedicht weist entsprechend der faszialen Dynamik 3 verschieden geartete Faszienschichten auf.

1. Oberflächliche Faszien – deren hohe Elastizität (variable dynamische Sprache – transzendentes Schreiben) das Ansammeln sprachlicher Findungen fördert (entsprechend des Ansammelns von Körperfett in Verbindung mit pränataler Gewichtszunahme).

2. Viszerale Faszien – weniger dehnbar, verbinden die Organe und halten sie zusammen, halten ihre Spannung konstant, sodass die Organe eine Eigenmobilität im Körper behalten, ohne den Ort zu verlassen und ihre Funktion einzubüßen (gnadenloses Einlassen auf die innere Spannung, innere Breite & Enge, ohne Pose zu beziehen, Hereinlassen des Pferdchens ins Haus).

3. Tiefe Faszien – ausgestattet mit zahlreichen hochsensiblen Rezeptoren für Schmerzempfinden, Bewegungsänderungen, Druck & Schwingungen, Änderungen des chemischen Milieus und Temperaturschwankungen (Erkunden & Einarbeiten der immanenten Erinnerungen, Glückserfahrungen, Traumata – Übertragen der Krankheit, sich aussetzen, Gedächtnis).

– Yevgeniy Breyger


STIMMEN ZU YEVGENIY BREYGER

Der Leonce-und-Lena-Preis 2019 der Stadt Darmstadt wird vergeben für einen kunstvoll komponierten Gedichtzyklus, dem es gelingt, mit den Mitteln der Poesie – Rhythmisierung, Gegenstandserfindung, Befragung des Versprachlichungsprozesses selbst – die Reichweite und den Schrecken intergenerationeller Traumatisierung darzustellen. Die insistierende Zartheit der Bewegung, Anspielungen auf die literarische Tradition sowie die Souveränität der Bildführung erzeugen einen sich im Lesen vertiefenden Raum von großer Intensität, in dem sich das Ich als eine in die Kreisbewegung der Zeit gestellte Figur erfährt.
‒ Jury zum Leonce-und-Lena-Preis

Breyger zu lesen bedeutet vor allem, jene Frage danach, ob wir nun in mehr als einer Welt leben, fünfdimensional beantwortet zu bekommen. Das bedeutet für mich nicht nur Berührung, soll heißen auf mannigfachen Ebenen angesprochen zu werden, sondern auch und vor allem, dass alles offen bleibt, zum Weiterdenken, zur Interpretation, dass alles Anstoß ist und diese Offenheit, diese Anstöße nicht nur in Erdnähe, sondern auch ins All hinaus wirken.
‒ Verena Stauffer, Triëdere

Und es gibt Gedichte, die es vermögen, gleich bei der ersten Lektüre stark zu leuchten und bei jeder weiteren noch mehr, mein Lieblingsbeispiel hierfür: Offen spricht dein Seelentier von Yevgeniy Breyger (…) Die hier geschaffene Verbindung von formaler Strenge und freier Assoziation, von ironischer Leichtigkeit und hintergründigem Sinn, von kühner Gedankenverbindung und fokussierter Schwerpunktsetzung ist für mich eine sehr gegenwärtige Ausdrucksform von dem, was Immanuel Kant als das freie Spiel von Einbildungskraft und Verstand als das Signum des Ästhetischen bezeichnet hat.
‒ Stefan Hölscher, signaturen-magazin.de


LESEPROBE

Königreich des Regens

In der Nacht, als das Dorf sich bewaffnet, erfährt sie
ihre Bestimmung, die großen Felsen zu beschießen.
Am Flusslauf warten sie wie Augen. Entschieden,
ruhig kriecht Stein über Stein – Von ihr weg?

Wieder eine falsche Richtung, gröber als Sand,
Pulver, das ihr nicht gehorcht. Diese trockene Ader,
kann ich sie fassen? Felder – Felder. Wälder – Getier.
Im Denken verschwimmt eine Erinnerung. Sie läuft

in den Wind. Durch die innere Welt, entschlossen zum Fels,
hört Schüsse. Geschichte schießt auf Geschichte,
Hunde erschießen sich, Dorf schießt auf Stadt, Tiere
schießen Pflanzen auf Mineralien. Flinten gleiten

durch Hände. Substanzen beschießen ein weiches
Gemisch aus Gummi und Erde – Vogelschwärme
existieren als solche Geschosse, denkt sie,
und verschwinden zwischen Himmel, zwischen

Boden, in einer Brust. Weder Ankommen noch
Verschwinden ist möglich, wenn du so stark liebst.
Tritt hinaus, selbst der Fels hat gelernt, zu verzeihen.
Tritt über zu den Menschen, ihre Körper

halten sich am Leben, indem sie wie Knospen
aufgehen, wenn es warm wird. Jahrlang Frühling,
wohin soll ich gehn? Aufgeben sei dir Gewinn.
Vergiss, was du tust, folge einem Gesang.

 

Offen spricht dein Seelentier,
menschlich seine Augenzahl.
Mitten durch die Zellmembran,
küsst sich ein geheimer Wind,

trittst du in mein Leben ein.

Wer mir dein Geheimnis nennt,
wird mit Liebe ausradiert.
Sieben freie Jahre lang,
dumme kurze Tage lang

achtsam sein als Todesgott.


DER AUTOR

Yevgeniy Breyger, geboren 1989, studierte an der Universität Hildesheim, am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und an der Hochschule für Bildende Künste Städelschule in Frankfurt am Main. 2016 erschien sein Debütband flüchtige monde bei kookbooks. 2019 gewann er den Leonce-und-Lena-Preis der Stadt Darmstadt. Nach Gestohlene Luft, kookbooks 2020, der durch Stipendien des Deutschen Literaturfonds und des Herrenhauses Edenkoben gefördert wurde, erscheint 2023 der Gedichtband Frieden ohne Krieg. Yevgeniy Breyger gewann den Lyrikpreis München 2021 und erhielt 2022 ein Stipendium der Deutschen Akademie Rom, Villa Massimo – Casa Baldi. Yevgeniy Breyger lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

Yevgeniy Breyger, Gestohlene Luft. Gedichte, Reihe Lyrik Band 72, 80 Seiten, gestaltet von Andreas Töpfer, ISBN 978-3-948336-08-0

Foto: Dirk Skiba

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