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Ulf Stolterfoht. rückkehr von krähe. abenteuergedicht
Ulf Stolterfoht. rückkehr von krähe. abenteuergedicht
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gut möglich, dass er die gesamte landschaft unter seinem bösen fittich barg
DAS BUCH
Krähe ist kein lyrischer Frischling. Sein erster Auftritt fällt auf den Oktober 1970, als bei Faber & Faber Ted Hughes‘ Gedichtband „Crow. From the Life and Songs of the Crow“ erscheint. Er habe mit „Crow“ eine Sammlung von Liedern „with no music, in a super-simple and super-ugly language“ schreiben wollen, sagt Hughes – und war durchaus erfolgreich damit. „Crow“ ist in seiner Dunkelheit und seiner schwer erträglichen Gewalttätigkeit ein singuläres Ereignis in der Lyrikgeschichte, was durch die Übersetzung von Elmar Schenkel spätestens 1986 auch im deutschsprachigen Raum wahrgenommen werden konnte. Ich selbst habe das Buch ein Jahr später gelesen, war schockiert und schwer beeindruckt zugleich, und wusste, dass ich so etwas irgendwann auch einmal versuchen wollte. Bis dahin hat es nun fast vierzig Jahre gedauert – und herausgekommen ist natürlich etwas ganz anderes. „rückkehr von krähe“ ist ein langes Abenteuergedicht in 14 Abteilungen, und von Ted Hughes‘ ursprünglicher Konzeption hat eigentlich nur der Protagonist überlebt: Krähe, eine Figur, von der wir nach wie vor nicht wissen, wen wir da eigentlich vor uns haben: einen Vogel, einen Menschen (und falls ja: einen Mann oder eine Frau?), eine Trickster-Gestalt, einen Gott oder einen Teufel. Elmar Schenkel hat seinem Nachwort zur deutschen Ausgabe von „Crow“ ein Zitat aus Franz Kafkas Zürauer Aphorismen vorangestellt, und gerne würde ich diese beiden Sätze auch für „rückkehr von krähe“ in Anspruch nehmen: „Die Krähen behaupten, eine einzige Krähe könnte den Himmel zerstören. Das ist zweifellos, beweist aber nichts gegen den Himmel, denn Himmel bedeutet eben: Unmöglichkeit von Krähen.“
— Ulf Stolterfoht
Ausgezeichnet mit dem Ernst-Jandl-Preis 2025
STIMMEN ZU ULF STOLTERFOHT
Mit „rückkehr von krähe“ ist dem in Berlin lebenden Autor gelungen, was Hughes versagt blieb: eine epische Volkssaga zu dichten, eine Verserzählung von atemberaubendem Ausmaß, gargantuesker Überdrehung und überbordender Kombinationslust. Was für ein Werk! Was für eine außer Rand und Band geratenes, poetisches Schlaraffenland, bei dem einem die reifen Ideen von den porphyrischen Bäumen direkt in den Mund zu fallen scheinen.
— Christian Metz, FAZ
Ulf Stolterfoht erhält den Ernst-Jandl-Preis 2025, weil sein Werk vor allem eines zeigt: dass Lyrik nicht weltfremd ist, sondern direkt aus der Welt selbst kommt. Sie kommt aus einer Wirklichkeit, in der die Menschen leben, und die sie sich aus Sprache zusammenbauen. In seinem mehrbändigen Opus Magnum „Fachsprachen“ ist Stolterfoht tief in den Prozess der Welterschaffung durch Wörter und Wendungen vorgedrungen. Es ist ein Unternehmen voll abgründigem Witz, weil in ihm der hohe Ton der Dichter plötzlich hohl klingen kann und der Spezialwortschatz des Handwerks lyrisch … Ganz und gar neu hat Ulf Stolterfoht sein Dichten mit dem Zyklus „rückkehr von krähe“ erfunden, einer Tricksterfigur, bei der man nicht weiß, ob sie Vogel, Mensch oder Gott ist. Wenn Stolterfoht sagt, dass ihm „die erfassung der welt in ihrer gliederung zum triebziel geworden ist“, dann ist dieser Prozess auf schönste Weise unabschließbar und offen. Staunend ist der Leser Teil dieses Abenteuers, vom Wortdonner berührt und vom „bewandtnisblitz“ getroffen.
— aus der Jury-Begründung zum Ernst-Jandl-Preis 2025
Wer Freude an Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie und Poetologie hat, ist beim Dichter Ulf Stolterfoht goldrichtig. Wem das alles nichts sagt, der liegt aber auch nicht falsch und folgt ihm gerne bei seinen Streifzügen durchs Textarchiv und die Welt der Sätze aufs experimentelle Terrain. Denn mit den Stolterfohtschen Satzreihen, die einen Haken nach dem anderen schlagen, kann man lesend erleben, wie wir in Sätzen denken. Diese Gedichte sind von großer intellektueller Heiterkeit und literarischer Raffinesse. Sie laden uns Leser:innen dazu ein, mitzuspielen und uns mit unseren eigenen Sätzen einen Reim auf diese Verse zu machen. Ulf Stolterfoht beweist von Gedicht zu Gedicht aufs Neue, was avancierte, experimentelle Lyrik kann. Herzlichen Glückwunsch zum Ernst-Jandl-Preis 2025!
— Werner Kogler, Österreichischer Kunst- und Kulturminister
LESEPROBE
in der mitte der zu beschreibenden landschaft liegt eine ausgedehnte wüste-
nei. dort hat man der lyrik seit menschengedenken erfolgreich einen riegel
vorgeschoben. von den kämmen der schwäbischen alb bis tief hinein in
den thüringer wald erstreckt sich diese prosaische ödnis. hier wirst du (ich
schwöre!) nicht eine rhythmisierte zeile finden. den begriff „metrum“ kennt
man nur via benno von wiese. durch die düster-engen täler fließen wasser,
die schwer sind von caesium, radium, blei. die ebenen aber sind weiß von
salz – und wer das salz berührt, dem bleiben noch höchstens zwei tage. über-
wältigender eindruck von trostlosigkeit, fast wollen dich elend und unglück
erdrücken. hier wohnt schon lange niemand mehr, doch manchmal ziehen
erstnationen durch: schwarzfüße, lederstrümpfe, rabenleute oder gepflockte
nasen, in verfolgung von huhn, hahn und fasan. für ihre kühnheit büßten
viele bitterlich. weiterhin schleicht kojote durchs gestrüpp, steht der bus-
sard träge im pesthauch, den man hier „luft“ zu nennen beliebt. der bär liegt
höhlendunkel, das szepter aber gebühret einzig dem schwan. ansonsten regt
sich wenig zwischen latschenkiefer und toxischem wacholder. da mag man
noch so sehr lauschen, nichts ist zu vernehmen, nur stille, grausam lastende
stille. in ungefähr östlicher richtung schlängelt sich ein ausgetretner pfad, der
heiße wind treibt steppenhexen vor sich her. seitlich des weges liegt etwas und
schimmert vor sich hin. tritt näher und betrachte es genau! es sind knochen,
kleine und große, komplette schenkelgelenke darunter, die haben einst ochsen-
menschen gedient, vielleicht auch rünstigen riesenwaranen. windungen des er-
littenen hungers, die sich über hunderte meilen ziehen. am bildrand aber, auf ei-
nem abgestorbenen baum, sitzt – schwarz, gemein und ungeschlacht: jemand, der
verdächtig nach krähe aussieht und lacht. und gar nicht mehr aufhört zu lachen.
DER AUTOR
Ulf Stolterfoht, geboren 1963 in Stuttgart, lebt als Lyriker und Übersetzer in Berlin. Seit 1986 Arbeit am auf neun Bände angelegten fachsprachen-Projekt. Zuletzt erschienen bei kookbooks fachsprachen XLVI–LIV (2021), fachsprachen XXXVII–XLV (2018) und neu-jerusalem (2015). Zahlreiche Auszeichnungen, etwa Ernst-Jandl-Preis 2025, Preis der Literaturhäuser 2016 und Peter Huchel-Preis 2008 für holzrauch über heslach (2007). Ulf Stolterfoht ist Knappe der Lyrikknappschaft Schöneberg, Mitglied des Impro-Kollektivs DAS WEIBCHEN sowie der Darmstädter und der Berliner Akademie.
Ulf Stolterfoht, rückkehr von krähe. abenteuergedicht, Reihe Lyrik Band 93, 152 Seiten, Hardcover, gestaltet von Andreas Töpfer, ISBN 978-3-948336-30-1. Erscheint Mitte November 2025.
