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Sonja vom Brocke. Blauer Ton. Gedichte
Sonja vom Brocke. Blauer Ton. Gedichte
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DAS BUCH
Was fortdauert als Verlust, wächst im poetischen Tun zur beweglichen Widerständigkeit. Sonja vom Brockes Blauer Ton trägt Erfahrungen in die eigengesetzliche Wirklichkeit der Kunst und hebt sie darin auf. Distichen, Vignetten, zeitenverbindende Sätze finden auf eine Fläche. Ein Imaginiertes, als Körpergedächtnis, geht Seite an Seite mit Erkundungen frankokantabrischer Höhlenkunst, deren Frische erstaunt – Begegnungen mit 30.000 Jahre alter Gegenwärtigkeit. Das Frühwerk und die „Date Paintings“ On Kawaras verzeichnen Unmessbares. Akute Präsenz berührt das Unrettbare – gerade war es noch „da“. Ein Gang ins Kinodunkel, in dem die Negative Hand sich uns entgegenstreckt. Pins und Fäden im Tagnachtgeflecht, der Tagnacht von Tod und Leben.
STIMMEN ZU SONJA VOM BROCKE
Es gibt sie immer wieder. Diese Bücher, die einen über lange Zeit begleiten. Zu denen man ein ums andere Mal zurückkehrt. Mitunter nur, um für den Weg zum Einkaufen noch ein paar Verse einzupacken („weil jener Sinn Ödnis so gut kennt wie das Hin und Her von Flügelsandalen“). Sonja vom Brockes Gedichtband Mush ist so ein Buch. … Der Band ist gefüllt mit luziden Beobachtungen wie der „Karnevalständelei zwischen Gedanke und Ausspruch“. Wenn es einmal heißt, es gehe stets auch darum, „nicht zu sehen. Sich umzuwenden, informationslos“, dann trifft das sicher nicht auf diesen Lyrikband zu. Sonja vom Brocke legt mit Mush poetisch Außergewöhnliches, unbedingt Bemerkenswertes vor.
— Christian Metz, FAZ
Das Besondere an der Arbeit von Sonja vom Brocke, ihr Zauber lässt sich nur schwer beschreiben oder gar in Begriffe zwingen. … Die Gedichte sind äußerst reaktionsschnell, sie haben die besseren Instinkte. ... Ich bin froh in dieser Welt zu lesen. Ich bin froh in dieser Welt zu leben. Ich bin gespannt auf den „Auftritt des himbeerfarbenen Schleims“. Meine „Hausschuhe glühen“.
—Tobias Lehmkuhl, Laudatio zum Weiskopf-Wedding-Preis 2024
LESEPROBE
5:52
Versteinern oder braten. Versteinern. Braten. Der Rutsch kehrt
zurück, zieht den Bauch Richtung Grund, Mollusken
zu begrüßen. Doch kein Kontakt findet statt, zwischen Jetzturzeit
und Jetztrutschzeit gähnt eine Unbezeichnung, Scheibe
die sich der Strömung anschmiegt, beidseitig Druck potenziert
Ozeanmasse eindickt, die wiederum
zustrebt auf ein Zeitloch
das die Scheibe umstülpt in 3D
freilich schmal
ein Gespräch verwehrt
Schwamm beteuert, es sei möglich, doch es löst sich nicht ein
folgt Getöse: Manganknollen erntet ein Kollektor.
Mollusken, Bauch. Abgetrennte Hälfte. War’s das Brennen?
Der Zimt? Unter der Dusche, ihrer, steht die Frau in halb- – off’nen
Körpers, einer Schweinshälfte gleich. Sie chattet, mit ihr
deren Haut von der Salbe brennt. Zink?
War sie die Metzgerin? Melone futterndes Kaninchen?
– Ich hol Garn, ich vernäh dich! Streichle dich mit der dritten
Hand, summ ein Wiegenlied, heile, heile, Molluske
7:40
Nicht anvertrauen. Keine hovernden Sohlen. Ein Bogen um das Grab seit Wochen. Im Bleigang. Zahllose Parzellen ungehörig klein. Der Glimmerschiefer schon weggekickt, denn jede Zier: untersagt. Die Kirchhofverwaltung ist streng, zu Altwesen kleiner Toter, Empfänger von Zorn über Bande, ein Gärtner schmeißt den Krempel vom Grab, via Paragrafen, die stauben, echt Plunder, doch, einmal aktiviert, schelten für laue Zauber, Bannungsmüh’, Gebärden um Material, das noch fasslich, bemalbar ist, wackelt oder flirrt, wenn der Wind bläst. Dann saugen sie mit den Ohren, ihrem gebannten Gesicht, die Altwesen kleiner Toter, ob da eines herüberspricht, vor der Sprache, ob noch eines kommt, das ihre Sprache entgegennimmt
DIE AUTORIN
Sonja vom Brocke wurde 1980 in Hagen geboren. Sie studierte Philosophie, Anglistik und Germanistik in Köln, Hamburg und Paris. Sonja vom Brocke schreibt Gedichte, Essays, Prosa und übersetzt Theorie und Dichtung. Sie veröffentlichte die Einzeltitel Ohne Tiere, 2010, Venice singt, 2015, Düngerkind, 2018, sowie Mush, 2020. 2024 erhielt sie den ersten
Weiskopf-Wedding-Preis der Berliner Akademie der Künste, verliehen für sprachkritische und sprachreflektierende Werke. Blauer Ton ist ihr drittes Buch bei kookbooks.
Sonja vom Brocke, Blauer Ton. Gedichte, Reihe Lyrik Band 91, 96 Seiten, Hardcover, gestaltet von Andreas Töpfer, ISBN 978-3-94833628-8

