Sibylla Vričić Hausmann. meine Faust. Gedichte
Sibylla Vričić Hausmann. meine Faust. Gedichte
DAS BUCH
Für nichts in der Welt gäbe Sappho ihr schönes Kind her. Nicht für ganz Lydien, nicht für Lesbos, die Insel. Seine Gestalt gleicht goldenen Blumen. Wer könnte es wagen, ihre Gedichte in die Waagschale zu werfen, nur um herauszufinden, was ihr wichtiger ist? Ich nicht. Niemand würde das tun, niemand würde denken, dass ein Mensch, der Gedichte macht, nicht lieben darf, nicht haben darf, was sie oder er liebt. Außer vielleicht Hölderlin. Oder Rilke. Oder … Intransitive Liebe ist eine Illusion wie Hygiene. Grenzen werden überschritten, befahren, bebetet (D. Kraus), auch die Grenzen zum Rückzug, zum Eigenen Zimmer, in dem etwas aufgeht bei geschlossener Tür. (Innere Quellen, Buchdeckel, Hosenknöpfe, Rockknöpfe ...) Bezuglos zu sein, das stünde mir als Menschenartiger nicht gut zu Gesicht. Doch nichts spricht dagegen, danach zu streben, die eigene Gesellschaft zu verfeinern. Nichts spricht gegen unreine Reime und schöne Kinder, die gewaschen werden müssen. In sich kräuselnden Schichten einer Landschaft zwischen Schlaf und Nichtschlaf, fiction und nonfiction wachsen meine Kreise an. Wachsen um ein Kissen, das ich einmal erhielt, zu träumen und hinein zu weinen. Das Ersatzobjekt – es genügt nicht.
‒ Sibylla Vričić Hausmann
Ausgezeichnet mit dem Clemens-Brentano-Preis 2024
STIMMEN ZU SIBYLLA VRIČIĆ HAUSMANN
Christine de Pizan, Maria Sibylla Merian, Unica Zürn oder Sylvia Plath – … Vričić Hausmann holt sie alle in eine aufregende Zeitgenoss*innenschaft, die das Deutsche entlang diverser Falz- und Fluchtlinen produktiv „zerknittert“.
‒ Uljana Wolf, Lyrikempfehlungen 2019
Die Texte von Sibylla Vričić Hausmann betreffen mich in einer aktuellen, klugen Sprache, die mir nahekommt, nahegeht und mich weiterschiebt, damit ich mich dem falterhaften Verharren nicht ergebe. Das brauche ich: Details, Worte, Bilder zur forscherinnengenauen Beobachtung heutiger Subjektivität.
‒ Lena Dorn, Jurymitglied Vaclav Burian-Preis
Die Liebe – sie ist hier eine warme Waffe, bei deren Einsatz mit den schwersten Verletzungen zu rechnen ist.
‒ Michael Braun, Sprache im technischen Zeitalter
Es geht um Arbeit, es geht ums Frausein, es geht ums Spielen, es geht ums Kindsein. Es geht um Schönheit, Sehnsucht – es ist ganz viel drin in diesem Buch. 3 FALTER heißt es, es ist ein unglaublich kluges Buch und gleichzeitig sehr warm.
‒ Lisa Kreißler, NDR
LESEPROBE
ich wünsche mir drei Wünsche
ich übertrete eine Schwelle und das Tor schließt sich hinter mir
nicht vor mir
ein Pan, der seine Flöte aus den winzigen Knochen ungewollter Töchter bläst
bedient es
alles, was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen
Amen
das
ist die Schale, die ich nicht knacken kann
ohne Ei-Zahn
ich führte Buch bis Ostern
powernapped dehnte der Riese
seine Glieder im Sonnengruß
ich vergaß nicht mich selbst
zu berühren, verborgen im Blick
der Narzissen aus ihren Beeten
verschloss ich mich Reinem.
DIE AUTORIN
Sibylla Vričić Hausmann, geboren 1979 in Niedersachsen, schreibt Gedichte, Essays und Erzählungen, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sie engagiert sich für einen fairen und offenen Literaturbetrieb, der Menschen, die sich um andere kümmern, nicht benachteiligt. 2018 debütierte sie mit dem Lyrikband „3 FALTER“ (Poetenladen Verlag). Dieser wurde als „Bestes Lyrikdebüt“, „Lyrikempfehlung“ und mit dem Orphil-Debütpreis ausgezeichnet. Stipendien wurden ihr 2016 und 2020 von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen zugesprochen, 2019 vom Literarischen Colloquium Berlin und 2021 von der Akademie der Künste, Berlin.