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Monika Rinck. Honigprotokolle. Gedichte

Monika Rinck. Honigprotokolle. Gedichte

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Ist jetzt schon wieder alles Delphi, oder was? Das geht so nicht. Denk nach.


DAS BUCH

WAS SIND HONIGPROTOKOLLE?

Im ursprünglichen Wortsinn des Protokolls gibt es einen klebrigen Kern: Es handelt sich um ein zusammengeleimtes Buch oder, spezieller: um das einer Niederschrift vorgeleimte, vorgeheftete Blatt, mit einer Chronologie zum Schriftstück und Angaben zum Verfasser. Es steht am Anfang des Buches, wurde ihm aber zuletzt erst zugefügt, angeklebt. Daher auch die Tendenz zum Hohn – in all seiner höhnischen Nachträglichkeit. Das konnte man nicht vorher wissen, nein.

Wir kennen das Protokoll im Alltagssinn. Aber stellen Sie sich bitte die ganze Anarchie der falschen Materialien vor, wenn das Ordnungsamt ausnahmsweise einen Eimer Honig über unsre Windschutzscheiben kippt, um zu zeigen, dass wir falsch geparkt sind. Da bleibt wohl einer hängen. Es gibt die Klebrigkeit der inneren Fixierung, die auf immer wieder erneutes Durchdenken dringt und darin kreist, und es gibt den unvergesslichen Honig an den Schuhen, in der Tasche, an den Fingern, der erinnert – auch dies kann als ein Protokoll gesehen, wenn auch nicht gelesen werden.

Also nehmen wir einmal den Körper als Protokoll unseres Lebens, nehmen wir den Honig als Protokoll des Bienenflugs und als Auskunft über die von ihnen gerade noch erreichbaren Blüten. Der Honig, von vielem, er wird genommen von einem, der raucht. Wir sehen: den Einzelnen und das Kollektiv.

Etwas ist passiert – das Gedicht gibt Auskunft und bittet seinerseits um Deutung. Es behandelt eine längst vergessene Süße. Oder eine Angst, die gestern in die Zukunft ging. Auch davon berichtet das Protokoll. Es wendet sich an Konzepte, die es nicht abstreifen kann. Daher seine Verpflichtung, diese zu durchstreifen. Es hat aufgrund seiner Beschränkung die Tendenz zum Elementaren, so ist es verfasst. Diese Beschränkung will ich als Vorteil begreifen. Es ist wie beim Bienentanz: Am Ende wird nur noch für die beste Höhle getanzt.

… so dichten auch die Liederdichter nicht bei vernünftigem Bewusstsein diese schönen Lieder, sondern wenn sie der Harmonie und des Rhythmos erfüllt sind, dann werden sie den Bakchen ähnlich, und begeistert, wie diese aus den Strömen Milch und Honig nur wenn sie begeistert sind schöpfen, wenn aber ihres Bewusstseins mächtig dann nicht, so bewirkt auch der Liederdichter Seele dieses, wie sie auch selbst sagen. Es sagen uns nämlich die Dichter, dass sie aus honigströmenden Quellen aus gewissen Gärten und Hainen der Musen pflükkend diese Gesänge uns bringen, wie Bienen so auch sie umherfliegend. Und wahr reden sie. (Platon: ION)

Zum Glück (Glück?) ist einer oder eine da, der oder die das protokolliert. Nun ja, das wird sich zeigen, ob das ein Glück ist, dass einer oder eine da ist, die oder der das protokolliert.

‒ Monika Rinck

Ausgezeichnet mit dem Peter-Huchel-Preis 2013 (http://peter-huchel-preis.de/preistraeger/2013-monika-rinck/)

 

STIMMEN ZU MONIKA RINCK

die beste Lyrikerin der jüngeren Generation
‒ Gregor Dotzauer, Der Tagesspiegel

in monika rincks gedichten ... ist die gleichzeitige präsenz von intellektueller lebendigkeit und dichterischer einbildungskraft ein wahres und anhaltendes vergnügen. ... texte, die nur so funkeln vor lauter (vielleicht auch lauterem, wenn das eine notwendige kategorie ist) sprachwitz, bildersinn und purem denkvergnügen.
‒ herbert j. wimmer, Kolik

Mit ihrem virtuos komponierten Gedichtband Honigprotokolle konzipiert Monika Rinck Sprache und Sprechen im 21. Jahrhundert als leidenschaftliches Plädoyer für die vibrierende Ordnung des Schwarms. Im Zusammenspiel von sinnlicher Weltbetrachtung, rhythmischer Rede und Gegenrede und vielstimmigem Gesang schafft die subtile Aufzeichnungsform der „Honigprotokolle“ einen poetischen Resonanzkörper von verblüffender Verweisdichte und analytischer Stringenz, der aus den Bewegungen des Denkens musikalische Funken schlägt.
‒ Jury zum Peter-Huchel-Preis


LESEPROBE

UNIO WIESEL

Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle, in Bernstein und Amber:
Fürstlich (oder fürchterlich?) paart sich im Dickicht das Wiesel
mit der Zylinderkopfdichtung. Schläuche, Keilriemen, zuckige Teile.
Wie flink ist das Wiesel, wie schwer der sehr gebremste Unfallwagen,
aus dessen Undichten Kunststoffemulsionen fließen, rosa schillern.
Wahnsinn wars, als Nadelbäume sich entäußerten, so das Protokoll.
Es stürzten die Nadeln, Pfeile, zierlich und keck, fast ohne Kontrolle.
Das ist das blondeste aller Himmelsgeschosse – Sonne? Oder Sonja
mit der Silberbüchse? Hirsche wittern. Birken imitieren Lichtmaschinen.
Untertriebig hebt die Nase von der Fährte ein gefällter Oktaeder.
Ach, verschonet doch die Wälder, statt sie mit Kaputtem vollzustellen.
Denn dieser alte Zuber flutet zeitig die Genüsse. Soeben noch munter,
in zärtlicher Vereinigung mit den Resten des Blechdachs (Schuppen!),
nun in desolatem Zustand. Marode. Auf Abriss. Unio Wiesel Finito.


DER SEE

Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle, diese beiden jungen Männer
stachen in den See auf einem Trampolin. Es hatte ein federndes Deck,
worauf sie lagerten, drei Masten und ja, die Masten lüpften und kippten
das Ding über die Ecken, und nein, die beiden gingen nicht über Bord.
Als Erstes sah ich das alles von unten, da war ich Alge. Dann sah ich es
schraffiert von der Seite, da war ich Schilf. Später, als ich Himmel war,
sah ich die beiden von oben. Sie segelten stochernd und zügig, schienen
ein Thema zu haben. Dann aber sah ich, wie sie kippten und sanken!
Der See nahm sich das Trampolin zu Herzen. Als das geschah, war ich
Ufer gewesen. Ich schwöre, der See war ich nie! Was sollte ich tun?
Ich wurde Grund und wühlte mich hinein. Dann schnellte ich zurück,
ja beinah wie ein Trampolin und spuckte die beiden in hohem Bogen
auf die Promenade. Der See kam zu sich, lief wieder in mir zusammen.
Nur das Schilf, sonst nichts, bewegte sich. Der Himmel ruhte darüber.


DIE AUTORIN

Monika Rinck studierte Religionswissenschaft, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Germanistik in Bochum, Berlin und an der Yale-University New Haven. Seit 1989 diverse Veröffentlichungen in vielen Verlagen. 2012 erschien der Lyrikband Honigprotokolle bei kookbooks, für den sie den Peter-Huchel-Preis erhielt. 2015 folgte Risiko und Idiotie. Streitschriften, 2019 Alle Türen. Monika Rinck ist Mitglied in der Lyrikknappschaft Schöneberg, der Akademie der Künste Berlin und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 2017 kuratierte sie das Festival POETICA in Köln. 2015 hielt sie die Münsterschen Poetikvorlesungen, 2019 die Lichtenberg-Poetikvorlesung in Göttingen, 2020 die Frankfurter Poetikvorlesungen. Sie übersetzt, gemeinsam mit Orsolya Kalász aus dem Ungarischen, kooperiert mit Musiker*innen und Komponist*innen. Für ihr schriftstellerisches und übersetzerisches Werk wurde Monika Rinck vielfach ausgezeichnet. Monika Rinck war Professorin für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien und ist heute Professorin für Literarisches Schreiben an der KHM. Sie lebt in Köln und Berlin. www.begriffsstudio.de

 

 

Monika Rinck, Honigprotokolle. Gedichte, Reihe Lyrik Band 24, 80 Seiten, Broschur mit Umschlag-Poster, gestaltet von Andreas Töpfer, ISBN 978-3-937445-49-6 

Foto: Timm Kölln

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