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Robert Stripling. Unter Stunden. Album I

Robert Stripling. Unter Stunden. Album I

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ich habe die seltsame Vermutung, dass die Seele sich steigern lässt

DAS BUCH

Der Zeit irgendwie hinterherkommen. Welche Sprache hat die Erinnerung? Der tägliche Spaziergang ins Gedächtnis, draußen zappeln die Pappeln, ein Ameisennest, wimmelnd ringsumher aus den Kaufhäusern … »In einem Heft verzeichnen wir das Beste & das Schlechteste eines Lebens«, schreibt Edmond Jabès. »Wir tun nichts anderes als eine Geschichte mit Wörtern zu verlängern.« Wann das alles begann?

Es beginnt grade – poetische Freuden, poetischer Nachmittag; wir schreiben Samstag. Auf überlieferten Zetteln knirschen verwanzte Betten aus einem Weltkrieg; im Stadtviertel gegenüber gleicht der hochgezogene Neubau einer Prothese. Die Hortensie fiebert. Ich wollte mein Fühlen ausdrücken? Nun habe ich mich verloren?

Es ist ganz leicht, endlich. Ein Album, das sich wie von alleine öffnet. Was findet sich unter Stunden? Tastend in alle Richtungen zugleich, zwischen Taläckerstraße & Roßmarkt an den turtelnden Glascontainern vorbei. Biografie? Asymptote? Ein Wort, das Verwandlung wird, Handlung? Alle Städte zugleich. Lustvoll hebt sich die Vogelspinne aus ihrem Pigmentbild, webt sich in Versäumnissen ein. Reisen in vergangene Jahre, bis sich widersprüchliche Kindheiten, aufgetürmt, als Einheit verwechseln. Einige taube Philosophien hüpfen als zwitschernde Vögel durchs Gleisbett. Der Zug kommt. Steigen wir auf …

Doch die Reise anerkennt kein Ziel. Sie verliert sich in Zeit – vielleicht aus einer Art Irrglauben heraus, einem Misstrauen, ob Welt nicht ganz anders sei. Tausendmal gesagte Sachen wieder von vorn, ja doch, Gewalt ist ohne Ausdruck. Eine Sekunde lässt sich nicht vernünftig denken.
‒ Robert Stripling

 

STIMMEN ZU ROBERT STRIPLING

Ana B. oder Ampère sind die Adressaten dieser klugen, anspielungsreichen Bewusstseinserkundung, dieses für die Banalitäten, Grausamkeiten und Kriege der Gegenwart offenen Sensoriums. Indem die Aufmerksamkeit durch das Inhaltliche hindurch auf die Sprache selbst gelenkt wird, steht die Tauglichkeit einer Wirklichkeit in Frage, die sich über sprachliche Konventionen und Wahrnehmungsmuster herstellt. In assoziativen Verkettungen, rein klanglichen Sinnzuschreibungen und lyrischen Wortkomposita stellt sich unerwart neuer Sinn ein; ästhetische Verdichtungen, die das existenzielle Fremdsein aufleuchten lassen, das von der Zweckorientiertheit unserer Gesellschaft nie ganz überdeckt zu werden vermag.
‒ Antje Rávik Strubel

Auch wenn ich die Hälfte nicht „verstehe“. Auch wenn ich so oft Sätze noch mal lesen muss und noch mal. Ich notiere mir unfassbar kluge, gelungene Gedanken, die Vorstellungsmaschinerie im Kopf druckt permanent wilde Bilder, und dann ist da die Zärtlichkeit, aber auch das Grauen, die Liebe, der Verlust, mein Gott, so viel.
‒ Saša Stanišić

Robert Stripling ist ein Autor, der den traditionellen Formen von „Fiktion“, „Biografie“ oder „Erzählung“ zutiefst misstraut. Er kultiviert dagegen in seinem neuen Werk, seinem „Album“, das mehrere Teile umfassen wird, die stark assoziative, von Erinnerungsfragmenten, sprachspielerischen Einfällen und sinnlichen Wahrnehmungen inspirierte Aufzeichnung, die sich in wilden Vor- und Rückblenden quer durch die Zeiten und Räume bewegt. Allein an dem jetzt vorliegenden ersten Teil seines „Albums“, einem aus Wahrnehmungssplittern komponierten Mosaik einer Lebenserzählung, hat der Autor zehn Jahre lang gearbeitet.

Mit seiner forcierten Entschlossenheit zur ästhetischen Verwandlung der Welt liefert Stripling ein wuchtiges literarisches Statement ab.
‒ Michael Braun, DLF Büchermarkt

LESEPROBE

Lückenlos zieht das All ein; das Werdende umsteht. Ich gehe im Einklang mit derselben Geschwindigkeit, die der Morgen vorgab. Durchs Stadtviertel Frankfurt-Griesheim, die Alte Falterstraße entlang. Nach Gattern benannt, die verhindern, dass die Felder von Vieh überliefen. Falter-Tore, sage ich zu Ampère, „Verweise überall“, mich macht es wahnsinnig, dass sich an jedem Ort eine unendliche TIEFENSCHICHTUNG, eine Ablagerung der Geschichtszustände, finden ließe, ich meine, wie tief lässt sich blicken?, ich meine, ‚auch‘ in der Hartmannsweilerstraße! : während der Eingemeindung von Stadträndern zunächst, nach dem letzten Griesheimer Bürgermeister in Benno-Straße umbenannt, sodass keine Straße heißt wie eine andre in Frankfurt bereits. 1933 schließlich wiederum neuer Namensgebung unterzogen. Nach andauernden Kämpfen um den Gipfelfelsen benannt. Im Elsass; während des Ersten Weltkriegs. Hartmannsweilerkopf. Wo im Kampf um den Felsen an die 30.000 Soldaten ihr Leben ließen. Dieser jahrelang andauernde Kampf um ein allmählich unbedeutender werdendes Eiland : diese Kargheit, diese Schützengräben & unterirdischen Gänge, die den Felsen aushöhlen, als stiege man bei vollem Bewusstsein ins eigene Grab, sage ich : die Stufen hinab; wie Tiere, die Spaten. Raumenge & Gestank (AMMONIAK!), Schüsse zugleich – der Schnee. Versteinerte Zementsäcke inzwischen, aufbereitet, das Mahnmal. So verhärtet das Wetter, das über die Lande geht; ein unendlich andauernder Wolkenzug, am äußeren Gebirgskamm der Vogesen (während die Straße noch immer diesen Namen trägt); in Frankfurt-Griesheim; von den Nazis benannt um die Kämpfe zu glorifizieren. Weitestgehend inzwischen vergessen vermutlich, woher der Name stammt. Am Eck, wo nun der Supermarkt seine Schiebetüren öffnet, die Bäckerei gegenüber; der Blumenladen. In alternierender Regelmäßigkeit beleben die Gassen das Verkehrsnetz. Fäden, die meinen Kopf durchziehen, sichten mich. Ich weile selten allein, sage ich zu Ampère : in stetig wachsender Gesellschaft meines kleinen Wortvolks, das mich anweist aufzuzeichnen.

diese Gottlosigkeit, diese Gottesfürchtigkeit, seinen Möglichkeiten in nichts nachstehen, sage ich, das genügsame Leben der Titanen; das Leben des Mistkäfers, der fetten Fliegen überm Kompost, das ganze Jahrhundert ‚aufsuchen‘, sage ich, diese Mädchen am Flughafen suchten zwischen Kleiderstangen; eine Dame wühlte in einer immensen Plastiktüte; ich suche in den Gerüchen (ich werde ›durchlässig‹, es regnet, das Wasser stürzt in mich ein!), ich meine, „es ist eine unablässige Suche“, Duft, von wo?, wohin?, woher?, bis in Geschicke sich liebender Pärchen auf Parkbänken hinaus oder hinein; Ahornblätter, der wechselnde Frühling im Dezember bereits, der wachsende Frühling (als höbe sich subtil oder wie berechnend = brechend die Stundenzahl Licht)


DER AUTOR

Robert Stripling, geboren 1989 in Berlin, lebt in Frankfurt am Main. Studium der Philosophie und Kunstgeschichte. Bühnenauftritte mit Schlagwerk. Lyrikpreis des Open Mike 2014. Stipendiat der Prosawerkstatt des LCB 2017 und der Schreibwerkstatt der Jürgen Ponto-Stiftung 2018. Aufenthaltsstipendien durch den Hessischen Literaturrat in Münzenberg 2018 und durch das Herrenhaus Edenkoben 2019. Zahlreiche Veröffentlichungen (u.a.: Bella Triste, Neue Rundschau, Sprache im technischen Zeitalter), zuletzt der Band Verpasste Hauptwerke (mikrotext, 2018).

Robert Stripling, Unter Stunden. Album I, Reihe Prosa Band 16, 240 Seiten, Hardcover, mit Fototeil, gestaltet von Andreas Töpfer, ISBN 978-3-948336-07-3

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