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Athena Farrokhzad. Bleiweiß. Gedicht

Athena Farrokhzad. Bleiweiß. Gedicht

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Sprich die Sprache, die es wert ist, mich zu verraten.

DAS BUCH

Meine Mutter sagte: Es gibt eine Stummheit, die sich der Übersetzung widersetztVitsvit, Langgedicht und Geschichtserzählung, wie Athena Farrokhzad ihr Debüt nennt, findet klare Bilder und knüpft doch ein Geflecht von Mehrdeutigkeiten. Bleiweiß setzt ein mit der Ankunft der vor dem Krieg im Iran geflohenen Familie in Schweden und nimmt rasch dramatische Form an, die Familienmitglieder ordnen sich (moralischen) Positionen zu und sprechen im Wechsel – bis auf die Erzählerin selbst. Mutter, Vater, Bruder, Onkel und Großmutter spielen mit verdrehten Redewendungen, extravaganten Metaphern und Sprichwörtern unter anderem auf die Themen Erbe, Verantwortung für die Familie, Identität und (Mutter-)Sprache an. Dabei wird die Tochter zwar adressiert, angeklagt und zur Rede gestellt, verweigert aber Antwort und die Einnahme einer Position. So ist das Gedicht durchdrungen von der Vielzahl an Stimmen, die ihre Familie ist oder sein könnte, von der sie ein Teil ist oder sein könnte, und entzieht sich zu einfachen Wahrheiten. Sie zeigen sowohl auf sich selbst und eigene Vergehen als auch auf ein Außen, den Krieg und die damit einhergehende Verrohung der Sprache. Doch in und durch Sprache erkennt die Familie auch die Möglichkeit, Widerstand zu leisten. Für die Erzählerin selbst besteht der Widerstand in ihrer Redeverweigerung.
‒ Clara Sondermann

In meinen Arbeiten verschmelze ich lyrische, politische und konzeptuelle Verfahren. Mich interessiert die Intimität, die gesellschaftliche Ordnungen offenbart. Und, mit den Worten von Adrienne Rich: Art means nothing if it simply decorates the dinner table of the power which holds it hostage.
‒ Athena Farrokhzad


STIMMEN ZU ATHENA FARROKHZAD

Dieses wichtige Buch legt die kompakte Tektonik frei, die unter den Träumen von Migrant*innen strudelt. Voller Anklage, Liebe, Trauer und Weisheit spricht Athena Farrokhzads Bleiweiß das schwierige Erbe eines Überlebens in der Diaspora an. Von Jennifer Hayashida feinsinnig übersetzt, beschreibt es durch eine Litanei prägnanter Stimmen das Geflecht aus Verpflichtungen und Projektionen zwischen den Generationen, unter denen die Erzählerin aus dem Blick rutscht. Zerstörung erscheint in intensiver Schönheit, der Schmerz des Verrats wird bestürzend offen benannt: „Deine Familie wird nie auferstehen wie Rosen nach einem Brand“, „Ich habe ein Vermögen in deine Klavierstunden investiert / Auf meiner Beerdigung wirst du trotzdem nicht spielen“. Die geweißten Zeilen fragen: Was wurde aus unseren Geschichten ausgebleicht? Ich habe dieses Buch gelesen und mich an meine Menschlichkeit erinnert.
‒ Sueyeun Juliette Lee

Athena Farrokhzads Werk wie auch ihre Person haben eine Resonanz, der man sich schwer entziehen kann. In Schweden ist sie eine bedeutende Persönlichkeit, eine entschiedene Feministin und Linke. Und eine herausragende Autorin. An der Oberfläche erzählt „Bleiweiß“ eine Geschichte von Migration und wie diese Vertrautes prägt und zugleich verzerrt. Jede*r in diesem Gedicht hat etwas zu sagen über das Trauma der Migration und die Auswirkungen der Globalisierung auf alle Bereiche der Intimität, noch da wo kaum miteinander geredet wird. Und das Gedicht spielt viele Register. Mal ist es metaphorisch und manieriert, dann wieder direkt und unverblümt, auch zärtlich.
‒ Juliana Spahr

Athena Farrokhzad ist eine sehr einfache und zugleich sehr komplexe Collage gelungen. Das „systematische Spiel mit Unterschieden“ und die „Infragestellung von Repräsentationen“ (Rosalind Krauss) in jeder Zeile – wer spricht, in wessen Namen, in wessen Sprache – machen Farrokhzads Poesie stark und notwendigerweise instabil.
‒ Jörgen Gassilewski, Sveriges Kulturradio

Poesie als Widerstand ist das zentrale Motiv in Bleiweiß. Dieses Buch ist eine Kampfzone.
‒ Pernilla Berglund, Versopolis


LESEPROBE

Meine Großmutter sagte: Deine Mutter kommt von der aufgehenden Sonne
Sie wurde nach einer Knospe benannt, als sie im Frühling zur Welt kam
Deine Mutter gab dir den Namen einer Kriegerin, um dich für den Winter zu rüsten

Meine Mutter sagte: Wenn wir uns wiedersehen, werde ich so tun
als hätten wir uns nicht gekannt
als du hungrig warst und ich es war, die dich stillte

Meine Mutter sagte: Deine Familie wird sich nie von den Lügen erholen, sie verpflichten
Mein Vater sagte: Deine Familie wird nie auf die Dächer zurückkehren, wenn es kühler wird
Mein Bruder sagte: Deine Familie wird nie auferstehen wie Rosen nach einem Brand

Meine Großmutter sagte: Es gibt eine Zeit für alles unter dem Himmel
Zeit, um auf die Dächer zurückzukehren, wenn es kühler wird

Meine Mutter sagte: Ich werde mir nehmen, was mir gehört
Der Sprache beraubt, wirst du in den Tod gehen
Sprachlos bist du gekommen, sprachlos sollst du gehen

Meine Mutter sagte: Warum rufen sie zu Gott von den Dächern
Haben sie vergessen, dass Gott die Peitsche hielt
als ihre Mütter gefoltert wurden

Mein Onkel sagte: Was wird aus uns, nachdem wir unsere Befreiung mit den Mitteln erkämpft haben, die uns gefangen hielten

Mein Vater sagte: Es gibt einen Krieg, der in den Eingeweiden vor sich geht
Es gibt einen Feind, der aus meinen Händen und aus meinen Lippen stürzt

Mein Onkel sagte: Vergiss nicht, wie du als Kind auf diesen Straßen gelaufen bist
Vergiss nicht, in einer Revolution zählen die Urteile der Töchter zwischen den Zeilen

Meine Mutter sagte: Wenn du sprichst und keiner da ist
an den du die Sprache aufgeben kannst, dann
hat es keinen Sinn zu sprechen

Mein Onkel sagte: Wenn du eine Grenze überquerst und dabei nicht schaudern musst
dann hast du keine Grenze überquert

Mein Vater sagte: Niemand, der zu dir gehört, liegt in dieser Erde begraben, also
gehört diese Erde nicht zu dir
Meine Mutter sagte: Erst wenn du mich in dieser Erde begräbst
gehört diese Erde zu dir

Mein Bruder sagte: Wir sind nichts anderes als
die Summe der Schäden, die Sprache uns zufügt
die Summe der Schäden, die wir zufügen

Mein Bruder sagte: Die einzige Sprache, mit der du das Verbrechen verurteilen kannst
ist die Sprache der Verbrecher
und die Sprache der Verbrecher
wurde erfunden, um das Verbrechen zu rechtfertigen


DIE AUTORIN

Athena Farrokhzad, geboren 1983 in Teheran, lebt in Göteborg. Sie debütierte 2013 mit dem stilgebenden Lyrikband Vitsvit (Bleiweiß), der bislang in mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt und für die Bühne adaptiert wurde. Für ihr zweites Buch, Trado (2016), das sie zusammen mit der rumänischen Dichterin Svetlana Carstean schrieb, erhielt sie den Preis des Rumänischen Kulturradios. 2019 erschien I rörelse, 2022 Åsnans år, beide beim Albert Bonniers förlagFarrokhzad ist als Dramatikerin, Kritikerin und Übersetzerin (unter anderem Adrienne Rich) tätig und unterrichtet Literarisches Schreiben an der Nordens Folkhögskola Biskops-Arnö. 2021 war sie Stipendiatin des Berliner Künstler:innenprogramms des DAAD, 2023 erhält sie den De Nios Vinterpris.

Clara Sondermann (*1990) studierte skandinavische und neuere deutsche Literatur in Berlin und Reykjavík. Sie arbeitet als Lektorin, Redakteurin und Übersetzerin aus dem Schwedischen und Norwegischen in Hamburg.


Athena Farrokhzad, Bleiweiß. Gedicht, Aus dem Schwedischen von Clara Sondermann, Reihe Lyrik Band 67, 72 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-937445-99-1

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