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Birgit Kreipe. aire. Gedichte

Birgit Kreipe. aire. Gedichte

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durchlässig bist du geworden, für gesichte

  

DAS BUCH

Die Gedichte in aire spüren inneren und äußeren Umbrüchen nach – etwa Krankheit, Umzug, Verlust – und interessieren sich für disruptive oder allmähliche Veränderungen: für die sukzessive Integration von Sinneseindrücken, das Gären von Gefühlen, Gedanken-und Erinnerungsspuren sowie die dadurch ausgelöste spezifische Unruhe – und deren Sprünge und Transformation in neue Erfahrung. Die poetischen Prozesse, die sie entwickeln und denen sie sich aussetzen, sind Unternehmungen in instabiles Terrain. Reize und Eindrücke, die vertraut erscheinen, wandeln und entziehen sich, geraten aber nie ganz aus dem Blick. Die Gedichte durchwandern Lichtungen und Wüstungen, ikonische Bildschichten, stoßen auf Schamquellen, surreale Meere, Gegenengel und Gehirnwellen. Dabei greifen sie unter anderem auf Quellen aus der Fotografie (Francesca Woodman) und Malerei (Gerhard Richter), der Psychoanalyse, der Neuropsychologie und Meditationsforschung zurück – und setzen auf die Erfahrung erweiternde und transformierende Kraft der Kunst.

 

STIMMEN ZU BIRGIT KREIPE

Freud war … davon überzeugt, dass die Erinnerung sich wieder zu einem Ganzen kitten lässt. Birgit Kreipe verneint eben dies und spielt so bewusst wie kreativ damit, dass aus der Evokation des Verdrängten etwas Neues, eine eigene Sprache entsteht. Ihre Gedichte erinnern deshalb nicht zuletzt daran, was Sprache – allemal die poetische – kann: Sie ist im besten Sinne Re-Volte, also Rückkehr zu den Ursprüngen, doch ohne den Anspruch, dort je wieder anzukommen. „wären die alpen doch wolken geblieben“, lautet der Stoßseufzer in „über die alpen“. Aus eben dieser Paradoxie beziehen Birgit Kreipes Gedichte in soma ihre so dunkle wie leuchtende Strahlkraft.
 Claudia Kramatschek, DLF Kultur

Über das Leben im Kinderheim hat man wohl selten so eindringlich und bildprächtig gelesen. Gesellschaftliche Verwerfungen zeigen ihre Gewalt zuerst an den Schwächsten, aber für Sentimentalitäten ist hier kein Platz. Oszillierende Erscheinungen von verstörender Schönheit geistern durch das Heim, Kinderkobras, Monstererkältungen, ein vergessliches Stiefkind, ein leuchtendes Lieblingskind, Kinder mit Mückenschwärmen im Herzen. Soma, das griechische Wort für Körper, scheint in diesem Gedichtband eine Engführung von Traum und Trauma. Als Gegenbegriff zur Seele ist soma dennoch der Schauplatz, an dem sich die Seelenbewegungen abspielen. In ihren Gedichtkörpern versucht Birgit Kreipe, Eindrücke in ihrem vorbewussten Zustand zu erfassen, jedenfalls an einem Punkt, an dem sie noch nicht die Filter der Alltagsmentalität erreicht haben und konventionell geworden sind. So entstehen Verse, die in ihren Wendungen, Brüchen und Berührungen völlig überraschend sind und doch einleuchtend, ja geheimnisvoll vertraut.
Marion Poschmann, Lyrik-Empfehlungen 2017

 

LESEPROBE

evolution der kohlweißlinge

                                          mit Francesca Woodman (house series)

3

der eine kohlweißling, der es schafft
über das feld, wird meister der blumen, höre ich
idol, gottesfalter und großer clown
filtert mit seinen flügeln das licht

taumelt (wie in der aufführung eines uralten stücks)
hält die absprachen ein zwischen licht und staub
und zu allen astern gleichermaßen
distanz. die flügel fest, wie hostien, kaum wahrnehmbar

und vollkommen, stirbt er nach drei tagen
weise und weiß, weiß und weise
auf einer transformierten wiese

in die der verlust eingeschrieben ist
als ständige bläuung, sekunden
körperloser, unsichtbarer bewegung

deren vorschein er ebenso in sich trägt wie ich
auf wiedersehen, großer kohlweißling.

 

ich suche den zweiten park, den man nicht sieht.
der puls wird ruhiger dort. engel-fallschirme 

landen unablässig im laub. der park selbst
träumt diesen ort. sonnenlicht fließt

grünlicher honig, zwischen stämmen hinab
aus einem angekippten klaren topf:

das ist die gnade. gottesanbeterinnen
mannshoch, steigen mit mächtigen gliedern

an lichtfäden auf, wie an durchsichtigen lianen.
reste von staubblumen – vögeln. grünfaserig

die aufgerauten gedächtnisspeicher der bäume.

überall blüht mülltütenmüll, überall eisbecher
spritzen. ruinen von bushaltestellen und bussen.

hier kleben noch meine alten gebete.
warten. werden allmählich gelb, platzen auf.

verhoben und ehrlich, knallten sie auf beton.
und wenn die dunkelheit ihre trupps schickt

mich einzukreisen, kratze ich
die wenigen tropfen licht auf

hänge sie in die nacht
wie kleine, aufsteigende leitern.

 

DIE AUTORIN

Birgit Kreipe, geboren 1964 in Hildesheim, studierte Psychologie und Germanistik und arbeitet als Psychotherapeutin, Autorin und Übersetzerin von Lyrik in Berlin. 2012 erschien ihr Gedichtband schönheitsfarm beim Verlagshaus Berlin, 2016 ihr Gedichtband SOMA bei kookbooks. Zuletzt publizierte sie in transistor, manuskripte und park. Ihre Gedichte wurden mit dem Münchner Lyrikpreis und dem Irseer Pegasus 2014 sowie dem Literaturpreis der A und A Kulturstiftung 2022 ausgezeichnet. 2016 erhielt sie ein Arbeitsstipendium des Berliner Senats. 2018 war sie Finalistin beim Lyrikpreis Meran, 2021/22 Stipendiatin der deutschen Akademie Rom, Casa Baldi. Die Autorin dankt dem Berliner Senat für die Förderung im Rahmen des Arbeitsstipendium Literatur 2021.

 

Birgit Kreipe, aire. Gedichte, Reihe Lyrik Band 76, 80 Seiten, Softcover mit Posterumschlag, gestaltet von Andreas Töpfer, 978-3-948336-11-0

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